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Die Vollkommenheit des Lebens und die Frage der unausgefüllten Rollen

Der chinesische Philosoph Mingdao sagte einst: "Alle Lebewesen im Himmel und auf der Erde sind perfekt." Dieser Gedanke mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, vor allem angesichts der Tatsache, dass wir Menschen uns oft als fehlerhaft und unvollkommen erleben. Doch was meinte er damit? Gleichzeitig stellt er eine zweite Frage: Wie viele Kaiser und Minister, Väter und Söhne, Brüder sowie Ehepartner gibt es, deren Rollen nicht vollständig ausgefüllt sind? Diese Aussage regte mich zum Nachdenken an. Was bedeutet es, eine Rolle zu „vollständig auszufüllen“? Warum scheint dies so oft zu scheitern? Und wie würden wir erkennen, dass eine Rolle tatsächlich ihre vollkommene Erfüllung erreicht hat?

 

Die Perfektion der Existenz

Zunächst einmal müssen wir verstehen, was Mingdao mit der Perfektion aller Lebewesen gemeint haben könnte. Perfektion bedeutet hier offenbar nicht, frei von Fehlern oder Schwächen zu sein. Vielmehr könnte es sich auf das Potenzial beziehen, das jedem Wesen innewohnt. Jedes Lebewesen ist in seiner Essenz vollkommen, weil es Teil eines kosmischen Gleichgewichts ist. Doch dieses Potenzial muss entfaltet werden, um sich in der Welt zu verwirklichen. Ist es nicht ähnlich wie bei einem Samen, der die Möglichkeit zur vollen Blüte in sich trägt? Ohne die richtigen Bedingungen bleibt er jedoch ungenutzt.

Wenn also alle Lebewesen perfekt sind, warum erleben wir dann so oft Konflikte, Unzufriedenheit und gescheiterte Beziehungen? Der Schlüssel könnte in den Rollen liegen, die wir einnehmen und die oft nicht in Einklang mit diesem inneren Potenzial stehen.


Was bedeutet es, eine Rolle auszufüllen?

Herr Mingdao spricht von gesellschaftlichen Rollen: Kaiser und Minister, Väter und Söhne, Brüder und Ehepartner. Jede dieser Rollen bringt bestimmte Aufgaben, Rechte und Verantwortlichkeiten mit sich. Doch diese Verpflichtungen sind weit mehr als bloße äußerliche Pflichten. Sie besitzen eine tiefere Dimension, die durch innere Haltung und Geisteshaltung geprägt wird. Eine Rolle tatsächlich und umfassend auszufüllen bedeutet, sich ihrer Bedeutung bewusst zu sein und sie mit Aufrichtigkeit, Hingabe und Weisheit zu verkörpern.

Doch wie oft geschieht dies wirklich? Können wir von einem Kaiser, der seine Macht missbraucht und das Wohl seines Volkes vernachlässigt, behaupten, dass er seine Rolle erfüllt? Sicherlich nicht. Er mag den Titel und die äußeren Privilegien eines Herrschers besitzen, doch innerlich hat er den Kern seiner Rolle verraten. Ein Kaiser sollte für das Wohlergehen seiner Untertanen Sorge tragen, Gerechtigkeit walten lassen und mit Weisheit regieren. Das äußere Symbol seiner Autorität ist nur eine Hülle, wenn es nicht durch innere Tugend getragen wird.


Ebenso gilt dies für die Rolle eines Vaters. Ein Vater, der zwar seine materielle Verantwortung erfüllt, aber die emotionalen Bedürfnisse seiner Kinder ignoriert, lebt die Essenz seiner Rolle nicht. Er trägt zwar den Titel und erfüllt vielleicht gewisse gesellschaftliche Erwartungen, doch fehlt es an der Herzensverbindung und der Fürsorge, die ein wirklich engagierter Elternteil zeigen sollte. Wie viel Bedeutung haben äußerliche Pflichten, wenn die innere Bindung fehlt? Kann ein Kind sich wirklich geliebt und verstanden fühlen, wenn der Vater nur physisch präsent ist, aber emotional nicht erreichbar?


Das Ausfüllen einer Rolle verlangt, dass wir bereit sind, uns tief mit ihrer Bedeutung auseinanderzusetzen. Es geht darum, wie wir in dieser Funktion für andere da sind und welchen Einfluss wir auf ihr Leben haben. Jede Rolle birgt die Möglichkeit, sowohl uns selbst als auch die Menschen um uns herum zu bereichern. Doch dies geschieht nur, wenn wir nicht bloß mechanisch handeln, sondern bewusst und mit einer inneren Ausrichtung auf das Gute.


Hier wird deutlich, dass das bloße Erfüllen äußerlicher Erwartungen nicht ausreicht. Eine Rolle wird erst dann wirklich lebendig, wenn wir ihr mit Geist und Seele begegnen. Es geht darum, die Verantwortung, die mit ihr verbunden ist, als Chance zur Entfaltung und zur Stärkung von Beziehungen zu begreifen. Und vielleicht stellt sich letztlich die Frage: Sind wir bereit, den tieferen Sinn unserer Rollen anzunehmen und uns vollständig in sie einzubringen?

 

Warum bleiben viele Rollen unausgefüllt?

Eine wichtige Frage, die ich mir stelle, ist: Warum fällt es so schwer, die eigenen Rollen im Leben vollständig zu erfüllen? Könnte es daran liegen, dass wir oft gar nicht wissen, was diese Rollen wirklich von uns verlangen? In einer Welt, die von individuellen Interessen und gesellschaftlichen Erwartungen geprägt ist, verlieren wir leicht den Blick für das Wesentliche.

 

Viele Menschen sind in ihrem Alltag so stark mit äußeren Verpflichtungen und Zwängen beschäftigt, dass sie kaum Zeit finden, über die wahre Bedeutung ihrer Rollen nachzudenken. Wäre es nicht hilfreich, innezuhalten und sich zu fragen: Welche Werte und Prinzipien möchte ich in meiner Rolle als Elternteil, Partner oder Freund leben? Welche Aspekte meines Potenzials bleiben bislang ungenutzt?

 

Die innere Entwicklung als Schlüssel

Die Erfüllung einer Rolle beginnt immer im Inneren. Es reicht nicht aus, sich an gesellschaftliche Normen zu halten oder bestimmte Erwartungen zu erfüllen. Vielmehr geht es darum, eine innere Haltung der Verantwortung, des Mitgefühls und der Weisheit zu entwickeln. Diese Haltung spiegelt sich dann automatisch in unseren Handlungen wider.

 

Ein Beispiel dafür ist die Beziehung zwischen Ehepartnern / Lebensgemeinschaften. Eine Ehe / Lebensgemeinschaft mag nach außen hin stabil wirken, doch ohne gegenseitige Wertschätzung und ehrliche Kommunikation bleibt sie oberflächlich. Ein wahrhaft erfülltes partnerschaftliches Leben erfordert, dass beide Partner ihre Rolle bewusst und mit offenem Herzen annehmen. Ist es nicht faszinierend, wie sich eine Beziehung verwandelt, sobald beide beginnen, auf diese Weise miteinander umzugehen?

 

Der Weg zur Vollendung

Mingdao’s Aussage erinnert mich daran, dass Perfektion nicht im äußeren Erfolg oder in der fehlerfreien Erledigung von Aufgaben liegt. Sie offenbart sich im beständigen Bemühen, die eigene Rolle mit Bewusstheit und Hingabe zu erfüllen. Es geht darum, das innere Potenzial zu erkennen und ihm Ausdruck zu verleihen.

 

Vielleicht liegt hierin die tiefere Botschaft: Jeder von uns trägt die Möglichkeit zur vollkommenen Entfaltung in sich. Doch diese Entfaltung erfordert Mut zur Reflexion und zur Veränderung. Sind wir bereit, diese Herausforderung anzunehmen?

 

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