Die Essenz des Lebens: Gedanken über das Wesen der menschlichen Natur
"Das Leben selbst wird als Wesen bezeichnet." Dieser Satz, der in den traditionellen chinesischen philosophischen Texten eine zentrale Rolle spielt, regte mich dazu an, über das Wesen der menschlichen Natur nachzudenken. Was genau bedeutet es, wenn von der „Natur“ oder „Wesenheit“ des Menschen gesprochen wird? Handelt es sich dabei um etwas Festes, Unveränderliches oder ist sie wandelbar und geprägt von unseren Erfahrungen und Bedingungen?
Die Verbindung von Wesen und Lebensenergie (Qi)
In der chinesischen Philosophie wird das Wesen des Menschen oft im Zusammenhang mit der Lebensenergie (Qi) gesehen. Das Leben und das Wesen sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne
die Lebenskraft könnte das Wesen nicht existieren und umgekehrt. Doch was
bedeutet das in Bezug auf das Gute und das Böse im Menschen?
Man sagt, dass der Mensch mit einer spezifischen
energetischen Konstitution geboren wird. Manche Menschen scheinen von Kindheit
an ein gutes Herz und eine freundliche Seele zu besitzen, während andere schon
früh egoistische oder destruktive Neigungen zeigen. Bedeutet das, dass Gut und
Böse von Geburt an im Wesen des Menschen verankert sind? Oder handelt es sich
dabei lediglich um unterschiedliche Formen der energetischen Veranlagung?
Hier wird es spannend: Die Philosophie lehrt uns, dass das
Wesen an sich weder gut noch böse ist. Die Zustände, die wir als solche
wahrnehmen, sind lediglich Ausdruck der Lebensenergie, die sich auf
verschiedene Weisen manifestiert.
Ist das Wesen von Natur aus gut?
Der Philosoph Mengzi (Mencius) argumentierte, dass die
menschliche Natur von Grund auf gut sei. Doch wie können wir das verstehen?
Mengzi erklärte, dass das Gute das ist, was in unserem Wesen folgt, wenn es im
Einklang mit dem universellen Prinzip (Dao) bleibt. So wie Wasser von Natur aus
dazu neigt, nach unten zu fließen, neigt das menschliche Wesen dazu, sich zum
Guten hin zu entwickeln, wenn es ungehindert fließen kann.
Aber warum gibt es dann so viele Menschen, die sich
scheinbar dem Bösen zuwenden? Ist das eine Ausnahme vom Prinzip? Oder wird das
Wesen durch äußere Einflüsse getrübt, wie Wasser, das auf seinem Weg durch den
Fluss Schmutz aufnimmt? Wenn das Wesen trüb wird, verliert es nicht seine
grundlegende Natur, so wie Wasser trotz seiner Verschmutzung immer noch Wasser
bleibt. Doch es erfordert bewusste Arbeit, um es wieder zu klären.
Die Reinigung des Wesens
Wenn das Wesen also wie Wasser ist, das durch äußere
Einflüsse verunreinigt wird, stellt sich die Frage: Wie können wir es reinigen?
Die Antwort liegt in bewusster Pflege und innerer Arbeit. Indem wir unsere
Gedanken, Emotionen und Handlungen achtsam lenken, können wir die trübenden
Einflüsse beseitigen. Doch wie schnell oder langsam dieser Prozess verläuft,
hängt von unserer Anstrengung ab.
Ein Mensch, der sich aktiv bemüht und diszipliniert an sich
arbeitet, wird schneller zu einem Zustand innerer Klarheit gelangen als jemand,
der nur träge und halbherzig an sich selbst arbeitet. Letztlich jedoch wird das
Wesen, sobald es geklärt ist, zu seinem ursprünglichen Zustand der Reinheit
zurückkehren. Es handelt sich dabei nicht um einen Austausch von Gut gegen Böse
oder um das Herausreißen des Bösen aus dem Wesen. Vielmehr verschwindet das,
was das Wesen getrübt hat, ganz natürlich.
Die Rolle des Himmelsmandats und der
Selbstkultivierung
In der traditionellen chinesischen Weltanschauung gibt es
das Konzept des „Himmelsmandats“, das
als die kosmische Ordnung verstanden wird. Diese Ordnung legt die grundlegenden
Prinzipien fest, nach denen alles im Universum funktioniert. Das menschliche
Wesen ist Teil dieser Ordnung und entfaltet sich im Einklang mit ihr.
Unsere Aufgabe besteht darin, diesem natürlichen Fluss zu
folgen und unser Wesen durch Bildung und Selbstkultivierung zu verfeinern. Doch
was bedeutet es, sich selbst zu kultivieren? Es bedeutet, sich bewusst mit den
universellen Prinzipien zu verbinden, das eigene Potenzial zu erkennen und die
eigenen Neigungen zu transformieren. Dabei gibt es jedoch keinen Zwang von
außen. Der Mensch wird nicht durch Vorschriften oder strenge Regeln gezwungen,
sich zu entwickeln. Vielmehr ist es ein innerer Weg, den jeder für sich selbst
finden muss.
Das Wesen als Teil der universellen Harmonie
Diese Erkenntnis führt zu einem tiefen Verständnis der
menschlichen Natur: Gut und Böse sind keine getrennten, gegensätzlichen
Elemente, die in uns um die Vorherrschaft kämpfen. Sie sind vielmehr Ausdruck
unterschiedlicher Zustände derselben Energie. Wenn wir uns von den trübenden
Einflüssen befreien, kehren wir zur ursprünglichen Harmonie unseres Wesens
zurück. Dies ist der Zustand, den die alten Weisen als die wahre Natur des
Menschen bezeichneten.
Ist es nicht beruhigend zu wissen, dass wir die Macht
besitzen, unser Wesen jederzeit zu reinigen und uns auf das Gute auszurichten?
Vielleicht liegt genau hierin der tiefere Sinn unseres Lebens – in der
beständigen Kultivierung und Entfaltung unseres inneren Potenzials.
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